Leben im Sterben: Selbstbestimmung im Sterbeprozess - Gibt es Grenzen?

Die diesjährige ökumenische Woche der evangelischen und katholischen Kirche Deutschland legt den Fokus auf Sorge und Seelsorge für Sterbende. „Leben im Sterben“ ist das Motto. Doch was bedeutet das? Ute Seibert, Leiterin des Paul Marien Hospiz in Saarbrücken und des Fliedner Hospiz in Neunkirchen, weiß, wie individuell das Leben wahrgenommen wird, erst recht in seiner letzten Phase: „Leben wird von jedem anders interpretiert, genauso wie Freud und Leid. Bei Sterbenden nehmen wir aber wahr, dass vieles unwichtig wird, zum Beispiel das Aussehen. Es spielt keine Rolle mehr. Das Jetzt und Hier zählt und wird ganz anders wahrgenommen, die Haltung zum Leben verändert sich. Materielle Dinge, deren Beschaffung der bisherige Sinn des Lebens war, werden plötzlich zu Fußfesseln. Viele entdecken neue Talente, weil sie sich Zeit für sich nehmen und in ihrem System nicht mehr funktionieren müssen.“ In den stationären Hospizen, die sie leitet, leben Menschen mit unheilbaren Krankheiten. Für manche ist der Moment, in der die Endlichkeit des Lebens mit voller Härte bewusst wird, auch ein Wendepunkt: Eine Bewohnerin berichtete, dass sie am Tag ihrer Diagnose erst richtig angefangen habe zu leben, selbstbestimmt und frei. Selbstbestimmung – ein Wort, das in der Hospizarbeit häufig vorkommt und für Sterbende und die Gestaltung ihrer verbleibenden Lebenszeit eine große Rolle spielt: „Wir machen Sterbenden nur Angebote, finden gemeinsam heraus, was sie überhaupt möchten und sich wünschen. Kein erhobener Finger, keine guten Ratschläge, alles kann, nichts muss. Diese Wünsche können sich stündlich ändern. Und das ist okay – Nein sagen, ohne sich rechtfertigen zu müssen kann ein sehr befreiendes Erlebnis sein“, erzählt Seibert. Aber wo hört die Selbstbestimmung auf, wo hat sie ihre Grenzen?

Anfang 2020 hat das Bundesverfassungsgericht den §217 StGB „Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" gekippt. Er verstoße gegen das Grundgesetz, der Mensch habe ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Für Seibert ist das ein Spagat zwischen Selbstbestimmung und Autonomie: „Es muss sowohl für diejenigen, die den Sterbenswunsch haben, als auch für die, die bei der Erfüllung helfen, freiwillig sein. Selbstbestimmung hört immer dort auf, wo man jemand anderen gefährdet. Sterbehilfe kann für die Helfenden belastend sein, sie müssen sich im Voraus damit auseinandersetzen.“ Ins Hospiz kann man nicht ausschließlich zum assistierten Suizid kommen. Ansonsten sind den Bewohnerinnen und Bewohnern aber kaum Grenzen gesetzt, fasst Seibert zusammen: „Mit der Interdisziplinarität unserer Mitarbeitenden schaffen wir es, auf fast alle Bedürfnisse einzugehen. Viele Sterbende haben eine große Symptomlast, sie fragen sich: Wem mute ich mich zu? Sie haben Schuldgefühle. Aber genau dafür sind wir im Hospiz da, sodass Kranke und Angehörige einfach nur Mensch sein können.“ Ein Hospiz ist nämlich ein Ort zum Leben.

 

Am 20. April, um 19 Uhr, findet in der Johanneskirche in Saarbrücken der Gottesdienst „Endlich sterben dürfen“ statt. Ute Seibert ist dort als Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin als Landesvertreterin für das Saarland zu Gast und spricht mit Pfarrer Herwig Hoffmann über das Thema. Um die Hygieneauflagen erfüllen zu können, bitten die Veranstalter um vorherige Anmeldung unter 0681 - 31261 oder st.johann@ekir.de