Wenn Sandra über ihre Erkrankung spricht, sieht man ihr an, dass es manchmal noch weh tut. Der körperliche Schmerz ist es aber nicht, der sie einholt. Es ist ihre Seele, die sich meldet, denn die war es, die ihren Körper krank gemacht hat. Doch heute hat sie die Kraft darüber zu sprechen, denn sie ist auf dem besten Weg der Heilung. Und nach jahrelanger Berufsunfähigkeit hat sie einen Arbeitsvertrag in der Tasche. Sie sitzt im Café Theodor der Stiftung kreuznacher diakonie, einer Begegnungsstätte für Menschen, die von psychischen Erkrankungen betroffen sind, und erzählt, wie sie es hier zurück ins Leben geschafft hat. Zurück in die Mitte der Gesellschaft, vorbei an gesellschaftlichen Stigmata, die ihr zusätzlich das Leben schwer gemacht haben.
Vor neun Jahren hätte sie noch keine Hoffnung gehabt, dass es für sie bergauf gehen würde. Damals geht es in ihrem Leben turbulent zu, sie entwickelt eine stressbedingte Essstörung. Manchmal ist es so schlimm, dass sie nur noch knapp 36 Kilogramm auf die Waage bringt. Ein stationärer Klinikaufenthalt ist unumgänglich. Sie wird in regelmäßigen Abständen im Fliedner Krankenhaus Neunkirchen aufgenommen: "Ich war manchmal zwei Monate dort, wurde medikamentös gut eingestellt, bekam Psychotherapie. Die Therapeuten wussten genau, was ich brauche, um wieder zu Kräften zu kommen“, erzählt Sandra.
Wenn sie nicht stationär behandelt wurde, bekam sie ambulante Hilfe in der psychiatrischen Klinik, die ebenfalls von der Stiftung kreuznacher diakonie betrieben wird, und konnte mit ihren gewohnten Therapeuten weiterarbeiten. Trotzdem war sie aufgrund ihrer Erkrankung nicht arbeitsfähig und war dauerhaft krankgeschrieben. Einen normalen Beruf auszuüben war unmöglich. Die 50-jährige Neunkircherin wusste aber, dass es ihr erst dauerhaft besser geht, wenn sie ihr Privatleben umstrukturiert: „Ich wollte wieder unter Leute, ich hatte mich lange zurückgezogen, und wusste, dass ich einen geregelten Tagesablauf brauche. Die Beschäftigungstherapie im Fliedner Krankenhaus hat mir dabei geholfen. Die Therapeuten dort waren sehr erfahren und einfühlsam. Ich erfuhr von der Möglichkeit im benachbarten Café Theodor zu arbeiten. Es ist ein offener Bistro-Betrieb, wo Menschen mit psychischer Erkrankung eine passende Beschäftigungsmöglichkeit finden.“ Sandra stellt sich im Café Theodor bei der Betreuerin Andrea Kreutz vor, dieden Betrieb koordiniert. „Für uns ist es unwichtig, mit welcher Erkrankung die Betroffenen kommen. Sie können erzählen, wenn sie wollen, müssen aber nicht. Wir bieten ihnen Therapiegruppen an und finden einen Weg, sie in das Tagesgeschäft zu integrieren. Sie können selbst bestimmen, wie oft sie kommen und was sie gerne tun möchten. Wenn sie eine Pause brauchen, können sie eine nehmen, egal - wann und wie lange. Keine Vorurteile, keine Stigmata, alles kann, nichts muss“, fasst Kreutz den Ablauf im Café zusammen.
Für Sandra der ideale Weg, wieder auf die Beine zu kommen: „Ich war erstmal verschlossen, wollte nicht direkt mit der Tür ins Haus fallen. Aber dort sind Menschen, die mich auch wortlos verstehen, denn sie sind in der gleichen Lage.“ Die gelernte Bäckerin findet ihren Lieblingsplatz in der Küche und backt die Kuchen für die Gäste der Begegnungsstätte in der Theodor-Fliedner-Straße. Sie knüpft Kontakte, findet Freunde und kommt immer häufiger ins Café Theodor, um mitzuhelfen: „Ins ‚Theo‘ kommen war irgendwann, wie heimkommen. Dort habe ich eine Aufgabe gefunden, ich konnte wieder ich selbst sein. Ich war im freien Fall und wurde dort aufgefangen.“
Dann erschüttert der nächste Schicksalsschlag ihr Fundament – bei Sandra wird Krebs diagnostiziert. Während der Chemotherapie zieht sie sich wieder zurück, muss alles erst einmal verarbeiten und mit den gesundheitlichen Folgen der aggressiven Therapie klarkommen. Dann rappelt sie sich erneut auf, geht wieder ins „Theo“, sucht die Gespräche mit Stammgästen. Ihr Team findet Aufgaben, die sie auch in ihrem geschwächten Zustand gut machen kann. Aber wenn sie mal nur dort ist, um zu reden, ist das auch willkommen. Und mit der Hilfe ihrer Kolleginnen und Kollegen, der Freunde und der Gäste, schafft sie es auch durch die Chemotherapie. Ihr geht es mit dem neuen Sinn im Leben immer besser. Irgendwann fühlt sie sich bereit, wieder richtig zu arbeiten. Mittlerweile hat sie es schon zwei Jahre ohne stationären Aufenthalt geschafft, ihre Haare wachsen dicht und fallen glänzend über die Schultern, die schon so viel getragen haben. Im Betreuer-Team von Andrea Kreutz und ihren Kolleginnen Nicole Mohr und Martina Flesch war zu diesem Zeitpunkt ein Platz frei. Die Idee kam auf, dass Sandra sich für den Job bewerben kann: „Die Beschäftigungsmöglichkeit für Betroffene ist eine Therapiemaßnahme, doch hier arbeiten auch Menschen ohne psychische Erkrankung regulär ich Betrieb, so wie Martina, Nicole und ich. Sandra hat einen Betreuerschein in der Seniorenhilfe, sie ist durch ihre Erfahrung geeignet, hier fest zu arbeiten und Menschen zu betreuen.“ Sie bewirbt sich und es klappt. Sandra ist nun neben den 15 psychisch erkrankten Menschen eine der vier Festangestellten, die dort arbeiten.
Fragt man sie, welche Wünsche sie für die Zukunft noch offen hat, nach alldem was sie bereits geschafft hat, steht die Gesundheit natürlich an erster Stelle, denn sie möchte offiziell als vom Krebs geheilt gelten. Die psychische Erkrankung hat sie aktuell sehr gut im Griff. Jetzt, da sie weiter im gewohnten Betrieb arbeiten kann, ist sie zuversichtlich, dass das auch so bleibt. Deshalb hat sie auch einen Herzenswunsch, was das Café angeht: „Ich wünsche mir, dass das ‚Theo‘ wieder brummt. Bevor Corona kam, war hier richtig was los. Es gab einen Mittagstisch und viele Menschen aus der Umgebung kamen, um hier zu essen, ihre Pause zu verbringen oder einfach, um ein Stück Kuchen zu essen und zu plaudern. So soll es wieder sein.“ Daran arbeiten die Betreuerinnen aktuell. Damit sich im „Theo“ wieder mehr Menschen begegnen, ob gesund oder krank. Damit Menschen mit psychischer Erkrankung Hilfe finden. Damit Menschen ohne psychische Erkrankung lernen, dass Vorurteile schädlich sind.
Es fehlt allerdings noch Unterstützung im Team von Andrea, Nicole, Sandra und Martina. Wer sich vorstellen kann als Betreuer im Café Theodor festangestellt zu arbeiten, kann sich bei Andrea Kreutz melden, E-Mail: kreutzan@kreuznacherdiakonie.de, Tel: 06821 902-460.
Voraussetzung ist eine abgeschlossene dreijährige Ausbildung, nicht zwingend im sozialen Bereich, sowie Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit im Umgang mit psychisch erkrankten Menschen. Auch psychisch Erkrankte, die Lust haben, im Rahmen ihrer Möglichkeiten im Team mitzuarbeiten, um Struktur in den Alltag zu bringen, können sich melden.