Der Weg zur Inklusion ist lang und steinig. Thomas Schlösser muss man das nicht erzählen. Er weiß es, denn er ist Betroffener. Der 54-jährige Rollstuhlfahrer wohnt in einer Einrichtung für Menschen mit Beeinträchtigungen der Stiftung kreuznacher diakonie. Den Weg auf den ersten Arbeitsmarkt hat er sich hart erkämpft. Jetzt spricht er über das Betreuungsrecht, das seit einem Jahr in Kraft ist.
Mit der Reform zum ehemaligen Vormundschaftsrecht hat der Gesetzgeber zum 1. Januar 2023 die Vorgaben des Art. 12 der UN-Behindertenrechtskonvention umgesetzt, die bereits 2009 in Kraft gesetzt wurde. Mehr Selbstbestimmung, mehr Teilhabe, sollte der Boden bereitet werden. Zentraler Maßstab der Betreuung und Betreuungsführung ist die Unterstützung der unter Betreuung stehenden Person, die Feststellung und Umsetzung der Wünsche und des Willens der betroffenen Person. Das sollte für alle Akteure des Betreuungsrechts, also Gerichte, Betreuungsbehörden, Sozialverwaltungen und last but not least für die gerichtlich bestellten Betreuer der Handlungsleitfaden sein.
Gewünscht: Schulungen für Behörden-Mitarbeitende
Doch die Alltagserfahrungen von Bewohnern und Beschäftigten der Stiftung kreuznacher diakonie zeigt, dass bei der Anwendung des Gesetzes noch Luft nach oben ist. Bei einer Info-Veranstaltung für Beschäftigte der Werkstätten und job |inklusivo berichten viele, dass sowohl bei Behörden also auch im Alltag oft über sie, statt mit Ihnen gesprochen wird. Sie fühlen sich nicht wahr- bzw. ernstgenommen. Sie wünschen sich Schulungen für Vertreter von Behörden und Institutionen, damit bei Gesprächen und Verhandlungen auch dort klar ist, welche Rechte Menschen mit Behinderungen haben und dass jemand, der einen Betreuer hat, nicht entmündigt ist. Diese Erfahrung hat die Stiftung kreuznacher diakonie auch als Träger gemacht. Regionalleiterin Kathrin Gradwohl zieht nach mehr als einem Jahr eine Zwischenbilanz: „Als Träger beobachten wird, dass die Klienten bei der Wahrnehmung ihrer Interessen und Umsetzung ihrer Bedürfnisse durch das neue Betreuungsrecht vor zum Teil große Herausforderungen gestellt wurden. Unsere Mitarbeitenden unterstützen unsere Bewohner und Beschäftigten dabei, wenn Hilfe benötigt und gefordert wird.“
Auch beim Thema gesetzlich bestellte Betreuer haben viele Menschen mit Behinderung noch Nachbesserungsbedarf. Thomas Schlösser berichtet: „Meine gesetzliche Betreuerin habe ich exakt 2 mal gesehen. Die Kommunikation lief über Whatsapp.“ Es hat ein Jahr gebraucht, bis er die „Betreuerin“, die vom Richter wegen einer vorübergehenden Erkrankung bestellt worden war, austauschen konnte. Betroffenen Menschen mit Beeinträchtigung rät er: „Die Betreuung sollte nicht von einem Angehörigen erfolgen!“ Er weiß, Eltern oder Geschwister meinen es zwar oft gut, wenn sie eine Betreuung übernehmen, allerdings geht es um Rechte, um Geld und komplizierte Formulare. Betreuer sollten sich gut mit dem Sozialgesetzbuch auskennen, um Betroffene gut unterstützen zu können“, so Schlösser, der auch vor Missbrauch warnt.
Kathrin Gradwohl weiß was er meint, denn gerade Berufsbetreuer haben manchmal bis zu 70 Klienten: „Dies ist eine große Zahl und sodass hier ein enger Kontakt und individueller Austausch oftmals nicht möglich ist.“ Thomas Schlösser wünscht sich, dass mehr Professionalisierung und mehr Kontrollen das Betreuungsgesetz mit Leben füllen, denn 13 Jahre nach der Ratifizierung der UN-Menschenrechtskonvention in Deutschland könnte die Inklusion bereits ein gutes Stück einfacher sein für die Betroffenen.