Asbacher Hütte | 130 Jahre: Teilhabe für Menschen mit Behinderung geschaffen

Asbacher Hütte der Stiftung kreuznacher diakonie

Die Asbacher Hütte im Hunsrück wurde immer von der Zeitgeschichte und von permanentem Wandel geprägt. In den vergangenen Jahren stand die Dezentralisierung im Fokus.

Es ist ein geschichtsträchtiger Flecken Erde: Die Asbacher Hütte im Kreis Birkenfeld ist seit 130 Jahren im Besitz der Stiftung kreuznacher diakonie. Hier leben und arbeiten Menschen mit Behinderung, die am Sonntag, 25. Juni, ihr Sommerfest feiern. Welche gewaltigen Entwicklungsschritte hat die Arbeit für und mit Menschen mit Behinderung in den vergangenen 130 Jahren gemacht? Holger Griebel, Geschäftsbereichsleiter der Behindertenhilfe, erklärt: „Wir haben hier heute einen modernen dezentralisierten Standort, bei dem die Menschen und ihre Fähigkeiten im Fokus stehen.“

Asbacher Hütte war ursprünglich Hammerwerk

Die Geschichte der Asbacher Hütte ist immer auch von der Zeitgeschichte geprägt: Einer der Vorbesitzer war Carl Ferdinand von Stumm-Halberg - der Vertreter der Industriellendynastie der Montanindustrie Südwestdeutschlands. Der „Berater des Kaisers“, heiratete 1860 auf der Asbacher Hütte, die einst ein Hammerwerk war und nach der Stilllegung des Werkes der Sommerfrische der einflussreichen Familie diente.

Pfarrer Friedrich von Bodelschwingh der Ältere, einer Gründungsväter moderner Diakonie, war ein einflussreicher Mann. Als Kind war er ein Spielgefährte des späteren Kaisers Friedrich III. Als Erwachsener baute er nicht nur „Bethel“ zur größten Diakonischen Einrichtung in Deutschland aus, sondern war auch Gründer und Namensgeber der Bodelschwingheschen Stiftung Bethel, er gründete die erste Bausparkasse und „erfand“ die Altkleidersammlung. „Fundraising“ - würde man heute sagen – konnte er. 1887 schenkte Stumm ihm die Asbacher Hütte. Fünf Jahre später schenkte er das finanziell belastete Anwesen Hugo Reich. Der 35-Jährige hatte 1889 das Zweiten Rheinische Diakonissen-Mutterhauses gegründet und brauchte Platz für die wachsende Zahl von „Pfleglingen“ – Frauen mit geistiger Behinderung. Betreut wurden diese von Diakonissen – „unsere abgearbeiteten Schwestern“ - wird Reich im geschichtlichen Rückblick der Historikerin Ulrike Winkler zitiert. Die Geschichtsforscherin hat 2014 die damals 125jährige Geschichte der kreuznacher diakonie aufgearbeitet und dabei auch dunkle Momente der „Anstalten beleuchtet. Auf der Asbacher Hütte wurden „nicht weiter bildungsfähige weibliche Idioten“ - so war der für uns heute abwertende Sprachgebrauch der damaligen Zeit - gesammelt und mit der Bürstenmacherei beschäftigt. 1907  wurde das  Haus „Grüne Aue“ gebaut. Man brauchte mehr Platz für die 161 Bewohnerinnen, 11 Diakonissen, 2 Gehilfinnen, Erholungsschwestern und  „Hausgenossen“ und die Zahl der Menschen, die in großen Schlafsälen untergebracht waren, wuchs weiter bis die Weltgeschichte wieder die Menschen in der Asbacher Hütte ergriff.

Leidvolle Geschichte im Nationalsozialismus

Die Nazis deportierten insgesamt 142 Frauen und Mädchen. Den Eltern wurde gesagt, die Kinder seien verlegt worden, in Wahrheit fielen sie der Vernichtung zum Opfer. Nur zehn von ihnen kehrten wieder zurück. Mahnmale in Bad Kreuznach und in der Asbacher Hütte erinnern an die Opfer.

Nach dem Krieg und der Nazi-Herrschaft änderte sich Schritt für Schritt das Denken. Die Landwirtschaft wurde als Selbstversorgungsbetrieb mit Hilfe der Beschäftigten geführt. Der Mensch mit Behinderung rückte in den Fokus. Langsam wurde aus der Beschäftigung, die aus harter Arbeit bestand, und reinen Versorgung der Menschen eine Betreuung. Noch immer wurde die Einrichtung von den Diakonissen geleitet.  

Diakonie Werkstätten bieten Beschäftigung für Menschen mit Behinderung

1979 wurden an den einzelnen Standorten der „Diakonie“ Werkstätten aufgebaut. Schon damals gab es auf der Asbacher Hütte zwei Arbeitsfelder: die Goldschmiede und den Hüttenhof. Förderung und die Akzeptanz der Menschen in ihren Fähigkeiten fließt immer stärker in die Arbeit ein. Das drückte sich auch in der Änderung der Begrifflichkeiten aus. Aus „Idioten“ wurden „Behinderte“. Die Abwertung und die fokussierten Defizite rückten immer mehr in den Hintergrund. In den 90er Jahren entstand der Beruf des Heilerziehungspflegers. Die Professionalisierung nahm weiter zu. Die Einheiten waren schon verkleinert worden und statt Diakonissen leiteten ausgebildete pädagogische Fachkräfte die Einrichtung, die immer noch „Anstalt“ hieß.

Schrittweise Dezentralisierung bringt mehr Teilhabe

In der Folgejahren prägten Schlagworte wie Selbstbestimmung, Empowerment, Inklusion, Teilhabe, Ressourcenorientierung immer stärker die Arbeit. 1993 und 1994 wurde die Außenwohngruppe in Rhaunen in der Ringstraße eröffnet und damit die alten Mehrbettzimmer immer weiter reduziert. Dies war der erste Schritt in Richtung Dezentralisierung, der mehr Teilhabe für die Bewohner ermöglichte.

Die heutigen Einrichtungsleitungen Silke Nörling und Julia Wittmann wissen: „2009 führt die UN-Behindertenrechtskonvention zu einem Paradigmenwechsel.“ Weg von Komplexeinrichtungen hin zu kleineren Wohneinheiten in Rhaunen (2010) und Birkenfeld (2015). Zudem wurden ambulanten Betreuungsangebote im Kreis Birkenfeld für Menschen aufgebaut, die selbstständig wohnen und nur punktuell Unterstützung benötigen.

Heute gehören zu den dezentralisierten Wohneinheiten der Behindertenhilfe „Hunsrück“ in Birkenfeld die Wohngemeinschaft mit 24 stationären Wohnplätzen. Das komplett barrierefreie Haus bietet Platz für zwei Wohngruppen mit älteren Bewohnern und eine Gruppe für Werkstattbeschäftigte, die jünger sind.

In Rhaunen gibt es vier Häuser: In der Ringstraße 32 und 34 sind insgesamt 26 Plätze und eine angemietete Wohnung. Die Häuser „Otto-Conrad“ und „Am Bach“ haben je 12 Plätze. Die beiden letzteren sind in der Ortsmitte. Der Schwerpunkt liegt bei Menschen mit einem höheren körperlichen Unterstützungsbedarf im fortgeschrittenen Erwachsenenalter.

In der Ringstraße leben jüngere Menschen, die von dem Leben in der Gemeinde profitieren und hier ihre Selbständigkeit und ihre Selbstbestimmung trainieren: Fußball im Sportverein, Einkaufen, selbst Kochen. Alle Themen rund um den Alltag in der Gesellschaft werden hier bearbeitet: partnerschaftliche Fragen ebenso wie politische Wahlen und andere Formen der Mitbestimmung.

"Intensiv Wohnen" bietet Ruhe und Platz

In der Kerneinrichtung Asbacher Hütte wird derzeit viel gebaut und renoviert: Es gibt 42 Plätze. „Das bietet vorwiegend Platz für so genanntes „Intensiv Wohnen“ also für Menschen mit Behinderung, die aufgrund ihrer herausfordernden Verhaltensweisen die Ruhe und Abgeschiedenheit brauchen“, erklärt Julia Wittmann. Gemeinsam mit ihrer Co-Einrichtungsleiterin hat sie nicht nur „bedürfnisorientierte Lebensräume“ für Menschen mit Behinderungen geschaffen. Auch als Arbeitgeber hat die „Asbacher Hütte“ stark modernisiert. „Gerade für Arbeitssuchende in Teilzeit bieten wir sehr flexible Möglichkeiten“, so Silke Nörling und Julia Wittmann, die sich mit dem Werkstattleiter Matthias Winau um die Vorbereitung des Jubiläums kümmern. 

„Die Behindertenhilfe auf dem Hunsrück ist für die Zukunft gut aufgestellt“, erklärt auch Melanie Göretz, Regionalleiterin der Behindertenhilfe. In den kommenden Jahren werden die baulichen Veränderungen abgeschlossen und auch konzeptionell die bereits eingeschlagenen Pfade etabliert. Dabei stehen folgende Themen auf der Agenda der beiden Einrichtungsleiterinnen, die ihre Büros in einem der historischen Gebäude haben: „Resozialisierung, gemeindeorientiertes Wohnen, Ambulantisierung, Wohntrainingsbereiche“, lauten die Schlagworte. Dabei werden die Leistungsträger stark mit eingebunden. 

 

Sommerfest-Info

Sonntag, 25. Juni 2023 · 10.30 bis 18 Uhr

An der Landesstraße 160 · 55758 Asbacher Hütte

Es erwartet Sie ein buntes Bühnenprogramm mit Playbackshow und besonderen Darbietungen. Verkaufsstände und ein kleiner Flohmarkt laden zum Stöbern ein. Auch für das leibliche Wohl ist bestens gesorgt. Begonnen wird um 10.30 Uhr mit einem Gottesdienst.