Kirn | Generation Z - Sinnsuche zwischen Angst und Perspektive: "Unsere Welt steht Kopf"

Jugendliche machen Handstand: "Unsere Welt steht Kopf" (Symbolik)

Die Isolation der vergangenen Jahre sowie die Verunsicherung durch Krieg und Klimawandel stellt die Welt der Jugendlichen auf den Kopf.

Während der Corona-Pandemie in der Schule den Faden verloren und den Abschluss vergeigt - so erging es Andreas. Statt das von der Schule geborgte I-Pad daheim zum Lernen zu nutzen, hat er tagelang gezockt. „Ich habe alles ignoriert, was geschickt wurde und war richtig süchtig nach Spielen“, erklärt der 17-Jährige. Mittlerweile wohnt er in der Kirner Außenwohngruppe der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe (KJF) der Stiftung kreuznacher diakonie, besucht die Berufsbildende Schule und ist dabei, seinen Sekundarabschluss I nachzuholen. „Andreas ist einer der Jugendlichen, die die Pandemie richtig beeinträchtigt hat“, sagt Laura Drumm, Kindheitspädagogin und pädagogische Fachkraft in der Wohngruppe. „Mittlerweile nutzt er seine Fähigkeiten wesentlich besser, hat nicht mehr 24/7 Zugang zu Medien und super Noten im Zeugnis.“

Woche für das Leben vom 22. bis 29. April 2023

Die ökumenische Woche für das Leben vom 22. bis 29. April 2023, eine Initiative der katholischen und der evangelischen Kirchen in Deutschland, steht in diesem Jahr unter dem Motto „Generation Z(ukunft). Sinnsuche zwischen Angst und Perspektive“. Dabei werden die Sorgen und Ängste junger Menschen zwischen 15 und 30 Jahren in den Mittelpunkt gerückt.

Die Jugendforscher Simon Schnetzer und Professor Klaus Hurrelmann betrachten die Situation der jungen Erwachsenen in der aktuellsten Jugendstudie, die im Herbst 2022 erschien, als „Zeitenwende“. Die jungen Menschen zwischen 14 und 29 Jahren in Deutschland seien im „Dauerkrisen-Modus“, so die Autoren der Studie, aufgerieben zwischen Corona-Lockdown, Klima- und Umweltkrise, dem nicht endenden Krieg gegen die Ukraine und finanziellen Sorgen durch die Inflation.

„Unsere Welt steht Kopf“ – so formulieren die zwölf- bis 17-jährigen Jugendlichen der Wohngruppe Kirn ihre Situation, die von den unruhigen Rahmenbedingungen gekennzeichnet ist. Auch Steve kam im vergangenen Jahr in die Wohngruppe, vorher lebte er in einer Pflegefamilie. Mit den Aufgaben, die von der Schule kamen, hat sich der 15-Jährige zwar beschäftigt, für ihn blieben aber regelmäßig viele Fragen offen. Seine Pflegemutter, die sich auch um weitere Kinder kümmerte, zeigte wenig Verständnis und konnte ihn nicht unterstützen. „Es gab viel Stress und Streit“, erinnert er sich.

Die beiden Beispiele zeigen, wie die Herausforderungen der vergangenen Jahre die jungen Menschen treffen, ganz besonders, wenn sie nicht auf der Sonnenseite des Lebens und der Gesellschaft stehen. „Die Jugendlichen waren ohne ihre regelmäßigen Kontakte auf sich selbst zurückgeworfen“, erinnert sich Laura Drumm, „und das Einüben oder Erlernen sozialer Kompetenzen, wie Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit bei Verabredungen und Terminen und vieles mehr, haben gelitten.“

Halt geben und Selbstvertrauen stärken

Als Gegengewicht hat die KJF gruppenübergreifende Angebote eingerichtet: „Sobald die Corona-Regelungen es zuließen, haben wir regelmäßige Spieleabende für die Kinder und Jugendlichen der Gruppen aus Kirn und Fischbach gestaltet“, berichtet Verena Schneider-Krockow, Bereichsleitung für die Stationären Angebote der KJF. Ziel war, dem Rückzug entgegen zu steuern und ein Mindestmaß an normalen, sozialen Kontakten aufrecht zu erhalten – als Alternative zu den digitalen Begegnungen, die vorwiegend über WhatsApp oder Instagram liefen.

Bei den Jugendlichen und den pädagogischen Fachkräften ist die Erleichterung groß, dass Sportverein, Jungschar, Chor und Jugendtreff wieder stattfinden: „Die Jugendlichen sind ausgeglichener, es gibt weniger Streit und alle haben die Möglichkeit, unabhängig von der Wohngruppe etwas zu unternehmen“, sind sich die Pädagoginnen einig.

Aber auch die aktuellen Krisen und Bedrohungen gehen nicht spurlos an den Jugendlichen vorbei. „Wir schauen jeden Tag nach dem Abendbrot gemeinsam die Nachrichten – und natürlich reden wir über die Entwicklungen.“ Bedrohungen, Ängste und Entbehrungen sind den Kindern und Jugendlichen ohnehin nahe, da einige von ihnen aus Kriegsgebieten geflüchtet sind und viele aus belasteten Familienverhältnissen stammen. Steigende Lebenshaltungskosten schränken ihre Möglichkeiten noch weiter ein, sodass zum Teil auf Wochenendbesuche verzichtet werden muss.

Die „Sinnsuche zwischen Angst und Perspektive“ erleben die Jugendlichen in den stationären Wohngruppen daher hautnah, so die Pädagoginnen: „Wir merken, dass sie da an ihre Grenzen kommen. Für uns ist es wichtig, ihnen Halt zu geben, Selbstvertrauen zu entwickeln und zu stärken. Diese Aufgabe wird uns künftig sicher begleiten.“