BAD KREUZNACH. Berufliche Bildung ist eine der Kernaufgaben von Werkstätten für Menschen mit Beeinträchtigungen. Sie ist die Grundvoraussetzung dafür, Menschen, die aufgrund der Art oder Schwere ihrer Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem Arbeitsmarkt tätig sein können, eine individuelle und wertschöpfende Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen. Berufliche Bildung ist als fortwährender, dynamischer und individueller Prozess zu verstehen, so beschreibt es die Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Sascha Richter, Bereichsleiter für Arbeit & Qualifizierung bei der Stiftung kreuznacher diakonie, erklärt im Interview, wie die Förderung konkret aussieht.
Die Berufliche Bildung ist ein wichtiger Part im Bereich Arbeit & Qualifizierung. Was wird hier getan?
Sascha Richter: Menschen, die aufgrund Art und Schwere ihrer Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt tätig sein können, erleben Teilhabe am Arbeitsleben in unseren Werkstätten. Berufliche Bildung ist somit Kernaufgabe unserer Betriebe; zum einen um im Rahmen der Einstiegs- und Qualifizierungsphase von 24 Monaten eine berufliche Orientierung und anschließende Vertiefung zu erfahren; zum anderen im Sinne eines lebenslangen Lernens auch während der Tätigkeit im Arbeitsbereich. Neben dieser Fach- und Methodenkompetenz haben die Werkstätten insbesondere den Auftrag, sich um Förderung sozialer und individueller Kompetenzen zu kümmern. Wir möchten unsere Beschäftigten zu selbstbewussten Menschen entwickeln.
Ist die Berufliche Bildung eine Eingangsvoraussetzung für die Werkstätten?
Sascha Richter: Berufliche Bildung ist insofern Eingangsvoraussetzung, dass innerhalb der ersten 24 Monate nach Aufnahme in die Werkstatt ein Berufsbildungsbereich organsiert ist, in denen die Teilnehmenden die verschiedenen Handlungsfelder der Werkstatt erproben sollen. Dies ist gesetzlich festgelegt, und daher zu absolvieren, bevor anschließend die Aufnahme in den Arbeitsbereich erfolgt. Diesen 24 Monaten vorangestellt ist ein dreimonatiges Eingangsverfahren. Hier wird zunächst die grundsätzliche Werkstattfähigkeit überprüft. Zu dieser Feststellung kommen unsere Gruppenfachkräfte in der Beruflichen Bildung mit dem zuständigen Sozialdienst, der wiederum in Kommunikation mit dem Kostenträger ist. Hilfreich sind hierbei auch anerkannte Diagnostik-Verfahren, die sich in der Behindertenhilfe etabliert haben.
Wie ist die Berufliche Bildung für die Werkstätten gestaltet?
Sascha Richter: Berufliche Bildung in Werkstätten ist ein heterogenes Ausbildungsfeld. Es lebt von den vielen Angeboten und Arbeitsinhalten, die sich in den jeweiligen Werkstätten etabliert haben. Das erste Ausbildungsjahr wird als sogenannter Grundkurs organisiert. Die Teilnehmenden erleben einen ersten Überblick über unsere vielen Angebote, erproben in ihrer Berufsbildungsgruppe Arbeitsinhalte, die wir typischerweise aus dem Arbeitsbereich auslagern. In unseren Betrieben erleben die Beschäftigten also intensiv Arbeitsfelder unter anderem aus den Bereichen Hauswirtschaft, Schreinerei, EDV, Metall, Landwirtschaft sowie Garten-/Landschaftsbau und Verpackung und Montage. Damit vermitteln wir direkt das Gefühl von wertschöpfender und wertschätzender Arbeit. Im zweiten Jahr, im Aufbaukurs, vertiefen wir die für den Klienten passenden Fachbereiche vor allem mit Praktika in den Gruppen im Arbeitsbereich, um anschließend den passenden Arbeitsplatz festzulegen.
Können Sie einen Überblick über die Angebote der Beruflichen Bildung für die Werkstätten der Stiftung kreuznacher diakonie geben?
Sascha Richter: Wir bedienen in der Beruflichen Bildung den genannten Mix aus fachlicher und persönlicher Entwicklung. Im Arbeitsbereich angekommen ergänzen zudem weitere Angebote aus dem Portfolio des Begleitenden Dienstes das Feld. So sollen dann auch umfangreiche Möglichkeiten aus den Bereichen Arbeitswelt, Soziales, Lebenspraxis, Kognition, Kulturtechnik, sowie Kreatives und Gesundheit im Mittelpunkt stehen. So unterstützen wir beispielsweise unsere Beschäftigten bei der idealen Einrichtung ihres Arbeitsplatzes, begleiten sie zu mehr Mobilität beim Erwerb des Mofa-Führerscheins oder entdecken gemeinsam verborgene künstlerische Talente und fördern soziale Fähigkeiten beim Musizieren in der Gruppe.
Auch für unsere Menschen auf ausgelagerten Arbeitsplätzen bieten wir über den Berufsbildungstag bei job|inklusivo passende Themenfelder, um auf den ersten Arbeitsmarkt gut vorbereitet zu sein.
Vor welchen Herausforderungen stand und steht Berufliche Bildung in Werkstätten für behinderte Menschen?
Sascha Richter: Ein großes Ziel der letzten Jahre bei allen Trägern und unserer Dachverbände war die Standardisierung der Prozesse, auch mit dem Ziel der Chancengleichheit. Dies ging von Vereinheitlichung der Zertifikate bis hin zur Einführung und Weiterentwicklung von für die Eingliederungshilfe passsende Rahmenpläne. Eine ständige Aufgabe ist das Herausarbeiten passender zertifizierbarer Qualifizierungsangebote für Menschen, für die ein regulärer Ausbildungsgang zu herausfordernd ist; mit dem Ziel so trotzdem einen Zugang auf den ersten Arbeitsmarkt zu schaffen oder die persönliche Entwicklung im Rahmen der Werkstatttätigkeit zu fördern.
Zuletzt wurden aus der Politik wieder Reformvorschläge veröffentlicht, die u.a. einfordern, die Berufliche Bildung als Rehabilitationsprozess mehr aus der Werkstatt herauszulösen. Mit Blick auf die individuelle Förderung des Menschen sind diese pauschalen Ansätze kritisch zu reflektieren. Dass der Bereich immer weiterzuentwickeln ist, steht außer Frage und wir als Werkstatträger zeigen uns hier engagiert.