Rechtenbach | Gelebte Demokratie in der Jugendhilfe

Banner beschriftet mit Stichworten zu Partizipation

Partizipation im Fokus: In der Ferienfreizeit haben die Kinder und Jugendlichen sich mit Themen wie Demokratie, Teilhabe und Verantwortung beschäftigt

Der 20. September ist Weltkindertag – der Tag rückt Rechte und Bedürfnisse von Kindern in den Fokus. Das diesjährige Motto lautet „Gemeinsam für Kinderrechte“. Auch das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG), das im vergangenen Jahr auf den Weg gebracht wurde, stärkt organisierte Formen der Selbstvertretung – Partizipation ist hier ausdrücklich festgeschrieben. „Für uns in ‚Haus Zoar‘ ist Mitwirkung und Mitbestimmung schon seit Jahren gelebter Alltag und wichtige Grundlage der pädagogischen Arbeit“, erklärt Petra Hofmann, Bereichsleitung für die Wohngruppen in der Jugendeinrichtung der Stiftung kreuznacher diakonie in Rechtenbach. „Die Kinder lernen schon früh, dass es wichtig ist, selbstwirksam zu sein – das sind wichtige Erfahrungen fürs Leben.“

Für eine Freizeit in den Sommerferien wählte eine Gruppe das Thema "Wir für Partizipation“ als Überschrift. Die Kinder und Jugendlichen legten im Vorfeld bereits die Rahmenbedingungen für die fünftägige Auszeit vom Alltag fest: „Wir haben unsere Wünsche besprochen und uns auf einige Fixpunkte geeinigt“, sagt der Gruppensprecher: „Wir wollten zelten, schwimmen und eine Burg anschauen.“ So brachen die Elf- bis 14-Jährigen Ende August nach Thüringen auf und bauten ihre Zelte am Ufer eines Stausees in Niederdorla auf. Auch beim Campen bedeutete Mitbestimmung nicht nur Kür, sondern auch Pflicht: Die Jungen und Mädchen unterstützten unter anderem beim Einkauf und im Küchendienst. In einer gemeinsamen Aktion sammelten die Jugendlichen Begriffe, wie und wo sich Partizipation im Alltag spiegelt und sie überlegten, an welchen Stellen sie mitwirken können. „Sie waren erstaunt, wie systematisch die Mitwirkung und Mitgestaltungsmöglichkeiten schon im Alltag integriert sind“, berichtet Lisa Metz, pädagogische Fachkraft in der Gruppe und gleichzeitig Partizipationsbeauftragte in Haus Zoar. „Durch das Gruppensprechersystem und den gewählten Heimrat werden alle Kinder und Jugendlichen kontinuierlich mit ihren Anliegen gehört und vertreten.“

Partizipation und Mitwirkung sorgen für alltagstaugliche Erfahrungen

Sich solidarisieren und gemeinsam für Interessen einstehen, eigene Themen platzieren und Mitstreiter finden für Ideen, Anregungen und Vorschläge – das alles sind Fähigkeiten, die sowohl in der aktuellen Lebenswelt als auch später im privaten und im beruflichen Kontext unverzichtbar sind. „Die Kinder und Jugendlichen können hier alltagstaugliche Erfahrungen machen“, betont Hofmann. „Einerseits können sie etwas bewirken, andererseits kommen sie schnell mit den realistischen Rahmenbedingungen in Kontakt.“ So kam aus dem Heimrat derP Vorschlag, den Fußballplatz zu erneuern und mit einem neuen Belag zu versehen. Die Jugendlichen recherchierten, mit welchen Kosten zu rechnen ist. Die zu erwartende hohe Summe veranlasste sie, nach Alternativen für die Gestaltung des Spielgeländes zu suchen. Gleichzeitig bot sich für das demokratisch gewählte Gremium die Möglichkeit, eine neue Ausstattung im Außengelände durchzuführen. Dafür stand ihnen ein bestimmtes Budget aus Spenden regionaler Firmen zur Verfügung. „So etwas ist tatsächlich ein großes Lernfeld“, berichtet die Sozialpädagogin. „Die Kinder formulieren Wünsche, die hinsichtlich der Umsetzung gemeinsam weitergedacht werden. Sie lernen Möglichkeiten und Grenzen kennen, die zu berücksichtigen sind, zum Beispiel die zusätzlichen Vorgaben von Brandschutz und TÜV. In diesen Prozessen machen die Kinder und Jugendlichen die Erfahrung, dass sich ihr Einsatz für die Gemeinschaft lohnt.“

Lernen für Alltag und Beruf: Feedback und Gesprächsführung

Auch im Heimrat kommt es gelegentlich zu besonderen Herausforderungen, wie die Planung eines „Chill-Raumes“ zeigte. Hier waren sich jüngere Kinder und ältere Jugendliche aufgrund unterschiedlicher Interessen zunächst nicht einig. Nachdem jede Gruppe berichtet hatte, was genau sie sich wünscht, konnten sie gemeinsam eine Lösung finden und Regelungen entwickeln, mit denen alle zufrieden sind. Neben den dabei nötigen Methoden für eine erfolgreiche Gesprächsführung und eine angemessene Feedbackkultur lernen die Kinder und Jugendlichen unter anderem Kompromissbereitschaft, Solidarität und Empathie.

„Wir nutzen unterschiedliche Vorgehensweisen, Partizipation für und mit den Kindern und Jugendlichen umzusetzen und stetig weiterzuentwickeln“, berichtet Lisa Metz. „Zu meiner Aufgabe als Partizipationsbeauftragte gehört es, mit den Kolleginnen und Kollegen im Austausch zu bleiben, sie einzubeziehen und – wenn nötig – eine vermittelnde und unterstützende Rolle für den Ausgleich unterschiedlicher Interessen einzunehmen.“

Demokratische Prozesse im Heimrat

Bei der monatlichen Heimratssitzung ist sie anwesend und beratende Ansprechpartnerin. Im Herbst wird der Heimrat die Partizipationsbeauftragten und die Heimsprechervertreter neu wählen. Während die letzten Wahlen persönlich mit Stimmzettelabgabe an der Wahlurne stattfanden, lernen die Kinder und Jugendlichen dieses Mal die Vorbereitung und Durchführung einer Briefwahl kennen.

„Die Kinder und Jugendlichen sind in den Gruppen schon sehr engagiert darüber im Gespräch, wen sie sich künftig als Partizipationsbeauftragte vorstellen können. Sie wünschen sich neben Frau Metz auch einen männlichen Vertreter“, berichtet Petra Hofmann.