Alzey | Schulbesuch mit Inklusionsfachkraft macht Lernen möglich

Inklusionsfachkraft Claudia Halle und Luca in der Schule, Inklusionsfachdienst der Stiftung kreuznacher diakonie

Die enge Begleitung von I-Kraft Claudia Halle ermöglicht Luca die Teilnahme am Unterricht und das Dabeisein in der Klassen- und Schulgemeinschaft.

Morgens zwanzig vor acht: Ungeduldig steigt Luca aus dem roten Bus und rennt auf den Schulhof. Kurz darauf kommt „I-Kraft“ Claudia Halle und begrüßt ihn. Luca besucht die 1. Klasse der Volkerschule in Alzey, eine Förderschule mit dem Schwerpunkt „Lernen und Sprache“, und ist stolz, Teil der Schul- und Klassengemeinschaft zu sein. Für den Siebenjährigen keine Selbstverständlichkeit – die Kindergartenjahre waren für ihn eine schwierige Zeit. „Luca hat sich schnell entwickelt, aber die Sprache blieb komplett auf der Strecke, er hat überhaupt nicht gesprochen“, erinnert sich seine Mutter Sarah Schmidt an die Entwicklung ihres jüngsten Kindes. Erst die Diagnose „Autismus“ brachte Luca weiter: Er benötigt eine Eins-zu-eins-Betreuung und kann Kindergarten und Schule nur mit Unterstützung einer Inklusionskraft besuchen. In seinem letztem Kindergartenjahr lernte Familie Schmidt Claudia Halle kennen, Mitarbeiterin im Inklusionsfachdienst der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe der Stiftung kreuznacher diakonie. Sie übernahm die Begleitung des Jungen: „Seitdem geht es Luca super. Die Kinder in seiner Klasse mögen ihn und zum ersten Mal ist er kein Außenseiter“, sagt Sarah Schmidt erleichtert.

Feste Routinen und Gewohnheiten helfen Luca

Die Erstklässler haben morgens feste Routinen: Jacken ausziehen, Hände waschen und im Morgenkreis Platz nehmen. Gewohnheiten tun Luca gut. Mit Magneten pinnt die Lehrerin die Fächer- und Aktivitätskärtchen an die Tafel – nun ist der Tag strukturiert und Luca weiß, was auf ihn zukommt. Als Kind mit Autismus schätzt er Planung, Routine und Verlässlichkeit – Überraschungen versetzen ihn dagegen in Aufregung.

Die Unterrichtsstruktur an der Volkerschule ähnelt anderen Schulen: Deutsch, Mathematik, Sachunterricht, Englisch stehen auf dem Stundenplan. Hinzu kommt Gebärdensprache: „Das ist ganz schön anspruchsvoll“, erklärt Claudia Halle. Was sich an der Förderschule unterscheidet, ist zum einen die enorme Intensivierung – zum Beispiel die Nutzung spezieller Apps am Whiteboard mit differenzierten visuellen Hilfen – und zum anderen die besondere Rücksichtnahme auf die individuellen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler. Mit Luca drücken zwölf Erstklässler die Schulbank, zwei Lehrkräfte schauen, wie jeweils der Stand der Kinder ist und sorgen für individuelle Aufgaben und Methoden.

Als Inklusionsbegleiterin kümmert sich Claudia Halle in erster Linie darum, dass die Kommunikation gelingt. „Luca braucht mich als Übersetzerin für Mitschüler und für die Lehrerin.“ Luca und Claudia Halle sind mittlerweile ein eingespieltes Team. „Ich bin nicht nur die sprachliche Übersetzerin, sondern schaue auch, was bei ihm emotional vorgeht und versuche, das anderen zu vermitteln.“ Wenn Luca etwas misslingt, wird der Frust schnell groß. „Dann muss ich motivieren – und Aufgaben so erklären, dass er sie verstehen kann.“ Wo genau sind die Linien, auf die er schreiben soll? Was bedeutet die Abbildung im Arbeitsheft? Wie ist der Arbeitsauftrag? „Meine Übersetzerfunktion und das Moderieren im sozialen Kontakt sind unverzichtbar – ohne die Begleitung könnte er den Unterricht nicht bewältigen.“

Luca macht große Fortschritte und erkennt manches, was ihm helfen kann, mittlerweile alleine: „Wenn es zu laut wird, zieht er sich Kopfhörer auf. Wenn die anderen wild und aufgeregt sind, nimmt er sich eine dicke Decke und kuschelt sich ein.“ Es ist ihm enorm wichtig, dabei zu sein und keine Sonderrolle zu spielen, eine Mammutaufgabe für ein Kind mit Autismus. Beim Sport ist es laut und wuselig in der Halle, dann bringt Luca – oder mittlerweile auch ein Freund – gleich die Kopfhörer mit. Wenn aber die Spielregeln erklärt werden, muss er den Hörschutz abnehmen, denn er möchte dabei sein und alles verstehen. „In der Regel bekommen wir das hin“, schmunzelt Claudia Halle.

Wenn es mal nicht so klappt, geben sich Claudia Halle und die Lehrerin Zeichen, sodass er eine Alternativaufgabe bekommt oder sie geht mal raus mit ihm. Manchmal hilft auch Lego spielen, dabei kann sich Luca zentrieren. „Wir finden immer eine Nische mit einer Lösung für ihn“, sagt Claudia Halle lächelnd. Die Lehrerinnen und Lehrer der Volkerschule sind Experten für das Thema Inklusion. „Mit ihrem Sonderpädagogik-Studium sind sie speziell ausgebildet und sie probieren sehr viel aus. Es wird immer geschaut, dass die Kinder mitkommen. Bei der Methodik und Didaktik unterscheidet sich die Förderschule stark von anderen Schulen.“

Nun macht Luca auch sukzessive Fortschritte bei der Sprache: Das, was jeden Tag eingeübt wird, gelingt ihm schon. Zum Beispiel die Wochentage und die Monate, die die Schüler jeden Morgen benennen. Feste Abläufe kann er allein bewältigen und er übt, erst zuzuhören und dann Antworten zu geben. Es gelingt ihm schon wesentlich besser, mit Frustration umzugehen. „Früher gab es schnell einen Wutanfall und er hat den Stuhl umgeworfen oder sein Heft zerrissen.“ Selbstbestimmung ist das A und das O – Luca möchte alles selbst machen und keine Aufforderung bekommen. Das Einfühlungsvermögen von Claudia Halle ist gefragt, um zu schauen, wo sie ihn gerade abholen muss.

Um 12.15 Uhr endet der für Luca anstrengende Schultag. Seine I-Kraft begleitet ihn zum Schulbus: „Wenn Luca im Bus sitzt, winkt er mir nochmal zu. Die Verabschiedung ist ein Ritual und wichtig für ihn.“ Dann geht es auch für Claudia Halle nach Hause. Am Nachmittag warten dort ihre Zwillinge auf sie – und los geht’s mir ihrer zweiten Schicht.

Inklusionsfachdienst der Stiftung kreuznacher diakonie

Sozialpädagogin Claudia Halle (M.A.) arbeitet seit zwei Jahren im Inklusionsfachdienst (IFD) der Stiftung kreuznacher diakonie. Mit 16 Kolleginnen und Kollegen begleitet sie Kinder mit Beeinträchtigungen in Kindergarten oder in der Schule. Die „I-Kräfte“ für Kita- und Schulbegleitung sind gefragt. Neben einer pädagogisch-therapeutischen Ausbildung (Erzieher, Ergotherapeuten, Heilpädagogen, Sozialpädagogen und Assistenzkräfte) müssen sie vor allem Einfühlungsvermögen für die Kinder und viel Geduld mitbringen.

Die I-Kräfte nehmen an regelmäßigen Teamsitzungen und Fortbildungen teil. In den Teams findet ein regelmäßiger Austausch statt und die Bereichsleitung des IFD bietet gezielte Beratungen und Anleitungen für herausfordernde Fälle an.

Aufnahmeverfahren für Kinder: Der Kontakt zum IFD erfolgt über das Jugendamt, das auch für die Finanzierung zuständig ist. Sofern freie Kapazitäten vorhanden sind, findet ein Erstgespräch mit Kindergarten/Schule sowie mit den Eltern und dem Kind zum Kennenlernen statt.

Weitere Informationen zum Inklusionsfachdienst erhalten Sie bei der Bereichsleiterin Petra Hüster, E-Mail petra.huester[at]kreuznacherdiakonie.de

Europäischer Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung

Der 5. Mai ist der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. Der Tag sensibilisiert für das Thema Inklusion und Chancengleichheit für alle Menschen. Auch Kinder und Jugendliche mit Autismus haben ein Recht auf inklusive Beschulung. Aufgrund der speziellen Bedürfnisse und des oftmals herausfordenden Verhaltens der Betroffenen beginnt mit dem Eintritt ins Schulleben häufig ein steiniger Weg.

Autismus ist eine mehrdimensionale neurologische Entwicklungsstörung und eine nicht immer sichtbare Beeinträchtigung. Es können Kommunikationsbeeinträchtigungen sowie Auffälligkeiten in der sozialen Interaktion und bei der Verarbeitung von Reizen auftreten. Manche Menschen mit Autismus weisen Hochbegabungen auf.

Mit dem Autismus Kompetenzzentrum, dem Sozialpädiatrischen Zentrum (SPZ) und dem Inklusionsfachdienst verfügt die Stiftung kreuznacher diakonie über große Fachkompetenz für Menschen mit Autismus.