Bad Sobernheim | Masterarbeit öffnet Türen für Prader-Willi-Betroffene

Wie kann man Menschen fördern und bedarfsgerecht unterstützen, die in ihrer emotionalen Entwicklung beeinträchtigt sind? Diese Frage hat sich Laura Wilhelm gestellt. Die 35-Jährige arbeitet seit 2013 im Prader-Willi-Kompetenzzentrum der Stiftung kreuznacher diakonie in Bad Sobernheim. Dort wohnen, leben und arbeiten seit zehn Jahren Menschen, die aufgrund eines Gen-Defektes nicht nur in ihrem Essverhalten gestört sind.

Der Tag der seltenen Erkrankungen am 28. Februar ist Anlass für die Stiftung kreuznacher diakonie, die Öffentlichkeit stärker für die Bedürfnisse und Probleme der Betroffenen und ihrer Angehörigen zu sensibilisieren. 

Laura Wilhelm und ihre Kolleginnen und Kollegen arbeiten weiter an der Verbesserung der Angebote im Kompetenzzentrum: „Mit dem Prader-Willi-Syndrom gehen oft auch herausfordernde Verhaltensweisen einher.“ Das bedeutet, dass sie nicht selten gegenüber anderen, sondern auch sich selbst gegenüber aggressiv sind. Außerdem gehört eine herabgesetzte Impulskontrolle zum typischen Bild. In einer Mastarbeit hat Laura Wilhelm Maßnahmen erfasst, um die emotionale Entwicklung erwachsener Menschen mit Prader-Willi-Syndrom zu fördern.

Die Psychologin (M.Sc.) und Diplom Sozialpädagogin arbeitet seit vielen Jahren in Bad Sobernheim, wo das einzige rheinland-pfälzische Prader-Willi-Kompetenzzentrum angesiedelt ist. Wer mit dem Prader-Willi-Syndrom (PWS) geboren wird, dem fehlt ein bestimmtes Chromosom, das üblicherweise vom Vater vererbt wird. Nur eins von 15.000 Neugeborenen hat diese Gen-Variante. Die Folgen können fehlendes Sättigungsgefühl, herausforderndes Verhalten und kognitive Beeinträchtigungen sein. Damit ecken die betroffenen Menschen schnell an und bekommen Probleme mit ihrer Umgebung. Die Ablehnung und die Vorbehalte, die daraus folgen sind für die Betroffenen spürbar. Da reagieren Menschen mit PWS wie viele andere, die sich nicht zu helfen wissen, weil ihnen adäquate Problemlösungen nicht einfallen: Sie werden aggressiv oder zeigen anderes herausforderndes Verhalten.

So kommt eine Abwärtsspirale in Gang, mit der alle Beteiligten schwer umgehen können. Laura Wilhelm arbeitet in der Beratungsstelle des Kompetenzzentrums und hat deshalb für ihre Masterarbeit, die sie zeitgleich neben ihrer Arbeit in Bad Sobernheim geschrieben hat, den emotionalen Entwicklungsstand von erwachsenen Menschen mit Prader-Willi-Syndrom erhoben. Zugleich wurden „entwicklungs- und bedarfsgerechte Interventions- und Fördermaßnahmen für die pädagogisch-psychologische Handlungspraxis“ gesucht.

„Wir haben keinen Erziehungsauftrag!“, stellt Laura Wilhelm klar. Das betont sie, um Vorurteilen mit ihrer eigenen Haltung und ihrem Rollenverständnis entgegenzutreten: „Erwachsene Menschen mit Behinderung müssen mit ihren Bedürfnissen und selbst gesetzten Zielen betrachtet werden wie jeder andere Mensch auch.“ Die erste Frage ist also: „Was möchten Sie? Und wie kann ich als Betreuerin unterstützen, damit dieses Ziel selbst erreicht werden kann?“ Entsprechend des von ihr erhobenen emotionalen Entwicklungsstandes stellte Laura Wilhelm gezielt Fördermaßnahmen aus bestehenden Trainingsprogrammen zusammen. Damit bekommen die betroffenen Menschen ein Werkszeug an die Hand, das ihnen erlaubt, ihr Verhalten und die Reaktionen darauf zu erkennen und entsprechende Alternativen für ihr Handeln anzuwenden. „Sozial-emotionale Kompetenz“ ist der Fachausdruck dafür, der einen wichtigen Schritt bei der Inklusion bedeutet. Die Psychologin, die in Trier studiert hat, beschreibt in ihrer Masterarbeit zudem Handlungsmöglichkeiten für Betreuer, die nicht nur auf die Förderung, sondern auch gezielt auf die emotionale Bedürfnisbefriedigung der betroffenen Menschen eingehen. Dadurch soll das Wohlbefinden gefördert und Überforderung vermieden werden.

Laura Wilhelm ist diese Arbeit wichtig. Sie will dafür werben, dass Menschen mit Behinderung keinen Stempel aufgedrückt bekommen, sondern als Menschen mit Entwicklungspotenzialen wahrgenommen werden. Zeitgleich will sie zeigen, dass Menschen in ihren Bedürfnissen respektiert werden und sich entfalten können, wenn sie es möchten – nicht, wenn es die Gesellschaft diktiert.

Hintergrund:

Das Prader-Willi-Kompetenzzentrum in Bad Sobernheim ist eine Einrichtung der Stiftung kreuznacher diakonie. Um Menschen und ihre Angehörigen optimal zu unterstützen, wurde es 2011 in Bad Sobernheim mit Hilfe des Landes Rheinland-Pfalz  gegründet. Hier gibt es ein speziell auf die Bedürfnisse der Menschen zugeschnittenes Beratungs- und Betreuungsangebot. Es ist derzeit landesweit die einzige Anlaufstelle für Menschen mit PWS und deren Familien. Das Zentrum besteht aus einem PWS-Beratungszentrum und einer PWS-Wohngruppe. Eine Erweiterung des Wohnangebotes ist derzeit in Planung. Am 21. Februar, ist die Diplom-Psychologin Rita Bohland-Klein bei Antenne Bad Kreuznach zu Gast, um auf den Tag der seltenen Erkrankungen und das Prader-Willi-Syndrom hinzuweisen. Die Sendung beginnt um 8.30 Uhr und ist anschließend in der Mediathek des Senders abrufbar.