Abschied von der leeren Kirche: Entwidmung der Kirche auf dem Niederreidenbacher Hof

Niederreidenbacher Hof

Niederreidenbacher Hof

Die Bänke der Kirche auf dem Hofgut Niederreidenbach sind schon lange leer. Vor über 20 Jahren wurde dort der letzte Gottesdienst gefeiert. Seit einiger Zeit sind Gebäude und Kirche gesperrt, die Werkstätten verwaist. Nach sorgfältiger Prüfung hat sich die Stiftung kreuznacher diakonie entschlossen, das Hofgut aufzugeben und zu verkaufen.

Jetzt erfolgt der nächste Schritt: die Beantragung der Entwidmung. Der Vorstand der Stiftung kreuznacher diakonie hat am 10. August 2020 beschlossen die Kirche zu entwidmen. Der Beschluss wurde vom Landeskirchenamt mit Allgemeinverfügung vom 30. September 2020 genehmigt und wird hiermit bekannt gegeben. Die Entwidmung wird mit dem Tag nach der Bekanntgabe wirksam und ist damit keine Gottesdienststätte mehr.

Über 100 Jahre lang war das Hofgut Heimat und Begegnungsstätte für Schwache, Kranke und Vertriebene. Was zunächst als Projekt von Pfarrer Hugo Reich als „kleinere Herbergen zur Heimat“ für Wanderarbeiter angedacht war, wurde mit dem Erwerb des Hofgutes bei Fischbach an der Nahe im Jahr 1904 Realität und gleichzeitig ein neues Arbeitsfeld der Stiftung kreuznacher diakonie.

„Arbeit statt Almosen“ war das ausgegebene Leitwort. Die Kolonistenbrüder sowie weitere Helfer waren für die Bewirtschaftung des über 600 Morgen (ca. 150 ha) großen Gutes verantwortlich. In den darauffolgenden Jahren entwickelte sich der Niederreidenbacher Hof zum größten Landwirtschaftsbetrieb in der Rheinprovinz und war für die Selbstversorgung der Diakoniegemeinschaft mit Lebensmitteln und deren wirtschaftliche Unabhängigkeit elementar wichtig. Jeden Tag brachte ein Pferdegespann frische Milch zum Bahnhof Fischbach-Weierbach, die für das Frühstück der Krankenhaus-Patienten in Bad Kreuznach bestimmt war. Wöchentlich wurden Rinder und Schweine in der eigenen Metzgerei geschlachtet. Während der NS- und Nachkriegsjahre konnte das traditionelle diakonische Prinzip der Autarkie nur mit Hilfe von ausländischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern realisiert werden. Dieses dunkle Kapitel wurde u.a. im zweiten Band „Lebenswirklichkeiten – Menschen Unter Menschen“ von Dr. Ulrike Winkler aufgearbeitet.

Stattdessen wurde der Hof teilweise baulich verändert, um ihn verstärkt für die Betreuung und Unterstützung von Menschen mit Behinderung sowie wohnungslosen Männern nutzen zu können. So entstand Anfang der 60er Jahre ein Altersheim speziell für wohnungslose Menschen. 1987 wurde mit dem Bau einer Fachwerkstätte begonnen. Ab 1979 konzentrierte sich die fachliche Ausrichtung auf die Wohnungslosenhilfe mit insgesamt 56 stationären Plätzen und 16  Plätzen im Altenheim. Im Zuge der Grenzöffnung 1989 wurde der Niederreidenbacher Hof kurzfristig zur Notunterkunft für ehemalige DDR-Bürger. Zehn Jahre zuvor waren es vietnamesische Flüchtlinge, die hier Asyl fanden.

Nach einem Brand im Jahr 2009, in dessen Folge Haupthaus und Altenheim nicht mehr bewohnbar waren, trieb die Stiftung kreuznacher diakonie den Modernisierungsprozess bei der Gestaltung der Wohnungslosenhilfe voran. Statt einer größeren, zentralen Einrichtung werden nun verstärkt dezentrale Angebote, wie kleinere Wohngemeinschaften oder Individualwohnen vorgehalten, um für wohnungslose Menschen möglichst normale Wohnverhältnisse und eine bessere Teilhabe zu schaffen. 2011 erfolgte der Umzug der letzten Bewohner des Niederreidenbacher Hofs nach Idar-Oberstein. 2018 wurde der Werkstattbetrieb nach Kirn verlagert, so dass der gesamte Niederreidenbacher Hof seitdem leer steht.